Delbrück

Delbrück
I
Dẹlbrück,
 
Stadt im Kreis Paderborn, Nordrhein-Westfalen, 77-114 m über dem Meeresspiegel, im Südosten der Westfälischen Bucht, 27 000 Einwohner; vielfältige mittlere Industriebetriebe (Möbel, Metall u andere).
 
 
Das zwischen 1217 und 1235 erstmals erwähnte Dorf wuchs zu einer Ackerbürgerstadt. Delbrück als politisches und kirchliches Zentrum des »Delbrücker Landes« gehörte zum Bistum Paderborn, bis es 1803 (endgültig 1815) an Preußen kam.
 
II
Dẹlbrück,
 
vermutlich aus Osnabrück stammende Familie, die zahlreiche Staatsmänner, Politiker und Gelehrte hervorbrachte. Die gesicherte Stammreihe der weit verzweigten Sippe beginnt 1679 mit dem Ratsherren in Alfeld (Leine) Daniel Delbrügge. Weitere Vertreter:
 
 1) Berthold, Sprachwissenschaftler, * Putbus 26. 7. 1842, ✝ Jena 3. 1. 1922, Vater von 6), Vetter von 2) und 3); Professor in Jena seit 1870, begründete die Wissenschaft von der vergleichenden und historischen Syntax der indogermanischen Sprachen.
 
Werke: Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen, 3 Bände (1893-1900, als Band 3-5 in K. Brugmanns »Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen«); Germanische Syntax, 5 Teile (1911-19).
 
 2) Clemens von (seit 1916), Politiker, * Halle (Saale) 19. 1. 1856, ✝ Jena 17. 12. 1921, Vetter von 1) und 3); wurde 1905 preußischer Minister für Handel und Gewerbe. Delbrück trat für eine Neuorientierung der Sozialpolitik ein. Als Staatssekretär des Innern (ab 1909) und Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums war er de facto Stellvertreter des Reichskanzlers. 1914 setzte er sich für eine innenpolitische Neuorientierung ein, die jedoch über Ansätze nicht hinauskam. Bis 1916 lenkte er die deutsche Kriegswirtschaft. Seine konservativen sozialpolitischen Ideen brachte er als Mitbegründer der Deutschnationalen Volkspartei 1918 in das Parteiprogramm ein.
 
 3) Hans Gottlieb Leopold, Historiker, * Bergen auf Rügen 11. 11. 1848, ✝ Berlin 14. 7. 1929, Vater von 5), Vetter von 1) und 2); war 1896-1921 als Nachfolger H. von Treitschkes Professor an der Universität Berlin. 1883-1919 leitete er die »Preußischen Jahrbücher« (bis 1889 zusammen mit Treitschke). Delbrücks Hauptarbeitsgebiet war die Kriegsgeschichte. Politisch gehörte er anfangs zu den Freikonservativen; 1882-85 war er Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1884-90 Mitglied des Reichstags.. Allmählich rückte Delbrück v. a. von der früheren Flottenbegeisterung ab und geriet in immer schärfere Gegnerschaft zu den Alldeutschen; auf sozialem Gebiet stand er den Kathedersozialisten nahe. Im Ersten Weltkrieg trat er für maßvolle Kriegsziele und die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen zugunsten einer demokratischen konstitutionellen Monarchie ein. Zuletzt nahm er scharf gegen die Vaterlandspartei Stellung. Nach dem Krieg bekämpfte er die Dolchstoßlegende, wies aber zugleich die Kriegsschuldthese der Alliierten zurück. Sein historisches Alterswerk ist der letzte Versuch eines deutschen Forschers zur Weltgeschichte.
 
Werke: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 4 Bände (1900-20; fortgesetzt von E. Daniels und O. Haintz, Band 5-7, 1926-36); Weltgeschichte, 5 Bände (1923-28).
 
 
A. Thimme: H. D. als Kritiker der Wilhelmin. Epoche (1955);
 R. vom Bruch: Wiss., Politik u. öffentl. Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelmin. Dtl., 1890-1914 (1980).
 
 4) Martin Friedrich Rudolf von (seit 1896), Politiker, * Berlin 16. 4. 1817, ✝ ebenda 1. 2. 1903; war seit 1849 als leitender Beamter im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe, dem er seit 1848 angehörte, maßgeblich am Zustandekommen der am Freihandel orientierten und gegen Österreich gerichteten Zollvereinspolitik beteiligt. Am 12. 8. 1867 wurde Delbrück Präsident des Bundeskanzleramts des Norddeutschen Bundes, seit 1871 war er Präsident des Reichskanzleramts. Die seit 1867 liberale preußische Wirtschaftsgesetzgebung ging im Wesentlichen auf ihn zurück. Delbrück trat am 1. 6. 1876 zurück, nachdem Preußen infolge der »großen Depression« von 1873 immer stärker von der Politik des Freihandels abrückte. Als Mitglied des Reichstags (1878-81) war Delbrück ein entschiedener Gegner der bismarckschen Schutzzollpolitik.
 
 5) Max, amerikanischer Biophysiker und Biologe deutscher Herkunft, * Berlin 4. 9. 1906, ✝ Pasadena (Calif.) 9. 3. 1981, Sohn von 3); ab 1937 in den USA, wurde 1947 Professor am Technologischen Institut in Pasadena, dessen molekularbiologische Laboratorien sich unter seiner Leitung zu einem Zentrum der internationalen Virusforschung entwickelten. Mit S. Luria begründete Delbrück die moderne Phagenforschung und Molekularbiologie. Mit dem Nachweis, dass die bakterielle Phagenresistenz auf Mutationen beruht, legten Delbrück und Luria den Grundstein für die Bakteriengenetik. Für die Entdeckung der genetischen Rekombination bei Bakteriophagen (1946, mit W. T. Bailey junior und unabhängig von A. D. Hershey) erhielt Delbrück 1969 mit Luria und Hershey den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Zuletzt arbeitete Delbrück v. a. an sinnesphysiologischen Problemen.
 
 
P. Fischer: Licht u. Leben. Ein Bericht über M. D., den Wegbereiter der Molekularbiologie (1985).
 
 6) Richard, Archäologe, * Jena 14. 7. 1874, ✝ Bonn 22. 8. 1957, Sohn von 1); 1909 Professor in Bonn, 1911-15 Erster Sekretär des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, 1921 Professor in Gießen und ab 1928 in Bonn.
 
Werke: Consulardiptychen (1929); Spätantike Kaiserporträts (1933); Die Münzbildnisse von Maximinus bis Carinus (1940).

Universal-Lexikon. 2012.

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